Expertenberatung über Planungsgutachten für Flughafen München II

Expertenberatung über Planungsgutachten für Flughafen München II

Fünf Tage lang (26. 4. bis 30. 4. 1971) beriet eine internationale Prüfungskommission auf Einladung der Flughafen München GmbH über die Planungsgutachten für die Planungsphase 1, die von sechs Arbeitsgemeinschaften in- und ausländischer Ingenieurbüros im Verlauf von neun Monaten erstellt worden waren.

Die Planungsphase 1 umfaßt die Erstellung eines Flächennutzungs- und Funktionsplanes für das Gelände des neuen Flughafens sowie die Darstellung der 1. Ausbaustufe mit einer Kapazität von 12 Mio Passagieren jährlich. Erstmals wurden die Planungsunterlagen für einen Flughafen durch führende internationale Flughafen- und Verkehrsexper­ten gemeinsam beraten.

Die unterschiedlichen Gesichtspunkte hinsichtlich einer Flughafenplanung, die in den sechs Gutachten zum Ausdruck kamen, führten bei den Mitgliedern der Prü­fungskommission zu lebhaften Diskussionen. Dies um so mehr, als in der Kommission unter anderem Vertreter von Behörden und Flughafengesellschaften aus den USA, England und Frank­reich anwesend waren, die entweder gerade selbst neue Ver­kehrsflughäfen mit verschiedenartigen Grundkonzeptionen planen oder bauen. Trotz dieser unterschiedlichen Auffassun­gen führte die Beratung der Expertenkommission auch dazu, daß Empfehlungen grundsätzlicher Art gegeben wurden, die außer für den neuen Münchener Verkehrsflughafen auch für die Planung anderer Flughafenanlagen von grundlegendem Interesse sein dürften.

Die Arbeit der neunzehnköpfigen Prüfungskommission glie­derte sich in zwei Teile:
Bewertung der Vorschläge, die in den Planungsgutachten enthalten sind und Erarbeitung von Planungsempfehlungen.

Bei der Beurteilung der sechs Planungsgutachten ging die Kom­mission unter anderem von folgenden grundsätzlichen Forde­rungen aus: Das verfügbare Flughafengelände muß von der 1. Ausbau­stufe bis zu einem theoretischen Ausbauzustand optimal genutzt werden können, die Entwicklung der Flughafenanlagen muß von der 1. Aus­baustufe bis zur Erreichung eines theoretischen Endausbau-zustandes flexibel gehalten werden,die Anlagen müssen nicht nur funktionstüchtig sein, son­dern auch wirtschaftlich, d. h. mit geringstmöglichen Kosten erstellt und betrieben werden können.

Von der Kommission wurde besonders begrüßt, daß von eini­gen Gutachtern eingehende Untersuchungen über die Einbin­dung des Flughafens in die Infrastruktur des Raumes unter Berücksichtigung der regionalplanerischen Zielvorstellungen der Region München durchgeführt wurden.

Einzelempfehlungen der Prüfungskommission:

Verkehrs- und Regionalplanung:

Um eine optimale Gesamtlösung zu schaffen, war es erforder­lich, die Verkehrsanschlüsse des vorgesehenen Flughafengelän­des so zu legen, daß sie nicht nur für die 1. Ausbaustufe, son­dern auch für die Zukunft brauchbar sind. Außerdem legte die Kommission besonderen Wert darauf, daß bei der Verkehrs­anbindung des Flughafens die langfristigen Interessen der Regionalplanung des Großraumes München berücksichtigt werden.

 

Im einzelnen gab die Kommission folgende Empfehlungen regional- und verkehrsplanerischer Art:

 

– Der von der Existenz des Flughafens für das Umland zu erwartende wirtschaftliche Belebungseffekt soll allseitig wirksam sein. Die im Zusammenhang mit der Erschließung des Flughafens notwendigen Maßnahmen dürfen daher nicht einseitig nach Westen ausgerichtet werden; sie sind vielmehr so zu gestalten, daß sie auch für die nördliche und östliche Umgebung strukturverbessernd wirken.

– In diesem Sinne ist zu fordern, daß eine Zufahrt zum Flug­hafen auf der Straße sowohl von Westen als auch von Osten her schon im 1. Bauabschnitt angelegt wird. Gleich­zeitig ist in dieser 1. Ausbaustufe der Anschluß eines schienengebundenen Massenverkehrsmittels von Westen herzustellen. Die Möglichkeit der Einbindung nach Osten durch die Schiene soll offengehalten und je nach Bedarf verwirklicht werden.

– In Anlehnung an bestehende Planvorstellungen von Bund, Land und Stadt ist eine bestmögliche Anbindung an das überregionale Fernstraßennetz sowie an regionale und zwischengemeindliche Straßen anzustreben.

– Bei Maßnahmen der Versorgung (Wasser, Abwasser usw.) sollen gemeinsame Lösungen mit den Gemeinden der Flug­hafenumgebung angestrebt werden. Unterirdische Bauten sind so auszulegen, daß kein schäd­licher Grundwasserstau eintritt.

– Die notwendigen und in ihrer Lage weitgehend von der geplanten Verkehrsstruktur des Umlandes abhängigen neuen Besiedlungszonen für die am Flughafen Beschäftigten sollten nicht auf den Flughafen allein bezogen sein. Insbe­sondere müßten sie so situiert werden, daß von ihnen aus auch andere Arbeitsplätze sowie hinreichende zentrale Ein­richtungen gut erreichbar sind.

– Die im Norden der Münchener Region noch wenig ent­wickelten Erholungsmöglichkeiten bedürfen in Anbetracht des mit der Anlage des Flughafens zu erwartenden Bevöl­kerungszuwachses besonderer Aufmerksamkeit. Für den Flughafen erforderliche Infrastrukturmaßnahmen sowie Wohnsiedlungen und Industriegebiete dürfen die er­holungswichtigen Freiflächen nicht beeinträchtigen. Insbe­sondere muß eine Längsdurchschneidung der Isarauen durch Straßen- oder Bahntrassen vermieden werden.

– Die Verkehrserschließung im Flughafenbereich sollte durch eine zentrale West/Ost-Flughafenachse erfolgen. Die Dimensionierung der Verkehrsräume sollte auf die Endkapa­zität ausgerichtet sein, wobei die stufenweise Verwirklichung vom Verkehrsbedarf bestimmt wird.

– Bei der Straßenführung innerhalb des Flughafengeländes ist die Grundforderung zu berücksichtigen, daß die nicht dem Bereich der Passagierabfertigung zuzurechnenden Funktions­bereiche je nach Bedarf an das öffentliche Verkehrsmittel und über flughafeninterne Straßen angeschlossen und verbunden sein müssen. Auf die Forderung möglichst kreuzungsfreier Straßenführung wird mit Nachdruck hingewiesen.

Zu dem flughafeninternen Verkehrsmittel vertritt die Kom­mission die Meinung, daß die S-Bahn mit ihrem Wagenpark den besonderen Anforderungen eines flughafeninternen Ver­teilerverkehrs nur beschränkt gerecht werden kann. Anderer­seits ist der Erschließung des Passagierbereichs durch den S-Bahn-Anschluß über die west-östliche Zentralachse eine er­hebliche Bedeutung zuzumessen. Anzahl und Zuordnung der Haltepunkte sind von der Festlegung der Art und Lage der Passagierabfertigungsgebäude abhängig.

Da bisher noch kein in der Praxis bewährtes flughafeninternes Verkehrsmittel angeboten werden kann, das den vielfältigen Anforderungen für den Flughafen München II entspricht, empfiehlt die Kommission, für den flughafeninternen Verkehr der 1. Baustufe eine konventionelle Verbindung über die Straße als Zweitlösung durchzuplanen.

Empfehlung der Kommission zur Anordnung der Gebäude­anlagen der 1. Ausbaustufe und Zuordnung der Funktions­bereiche

Die Kommission empfahl, die 1. Baustufe im Interesse kurzer Verbindungswege kompakt und in zentraler Lage zwischen en Start- und Landebahnen anzuordnen. Dabei sollte so vor­gegangen werden, daß die Passagierabfertigungsanlagen von einer noch genau festzulegenden vertikalen Bezugslinie nach Osten, die übrigen Anlagen, wie z. B. Fracht- und Wartungs­bereich, Ortdienst, Betriebsgebäude der Flughafenverwaltung und dergleichen, nach Westen entwickelt werden. Die Kommission empfahl, die Passagierabfertigungsgebäude rechtwinklig zur Flughafenlängsachse anzuordnen. Diese Anordnung ergibt bei dem gegebenen Startbahnabstand von 2300 m eine optimale Zahl von Flugzeugpositionen auf den zwischen den Start- und Landebahnen und Rollbahnen zur Verfügung stehenden Flächen.

Die Kommission konnte sich nicht entschließen, ein Gutachten in seiner Gesamtheit als Grundlage für die weitere Planung vorzuschlagen. Als Ergebnis der Bewertung wurde vielmehr festgestellt, daß zwar keiner der sechs Planungsvorschläge in seiner Gesamtheit der weiteren Planung zugrunde gelegt wer­den kann, jedoch enthalten die Gutachten in der Summe das Material an Einzelvorschlägen, das für die Bearbeitung der weiteren Planungsstufe benötigt wird.

Die Mitglieder der internationalen Prüfungskommission kamen aus den USA, Großbritannien, Frankreich, der Schweiz und der Bundesrepublik. Im einzelnen handelt es sich um:

  • Jacques Block, Aeroport de Paris, Paris
  • Dr. Heinrich Brunner, Wirtschafts­amt der Stadt München
  • Wulf-Diether Graf zu Castell, Geschäftsführer der Flughafen München GmbH, München
  • Oberverwal­tungsdirektor Theodor Fischer, Referat für Stadtforschung und Stadtentwicklung der Stadt München
  • Heinz Galli, Vice Direktor Ground Operations der Swissair, Zürich
  • George V. Hole, British Airports Authority, London
  • Ministerialdirektor Prof. Hans Koch, Oberste Baubehörde, Bayer. Staatsministerium des Inneren, München
  • Dipl.-Ing. Klaus Nitschke, Techn. Prokurist der Flughafen München GmbH, München
  • Dr. Ing. Heinz Peter Piper, Geschäftsführer der Flughafen Hannover-Langenhagen GmbH, Hannover
  • Karl-Albert Reitz, Deutsche Lufthansa AG, Bodenverkehrsdienste, Frankfurt
  • Prof. Dipl.-Ing. Karl-Heinz Schaechterle, Lehrstuhl für Verkehrs- und Stadtplanung, Technische Universität München
  • Oberbaudirektor Dipl.-Ing. Raimund Schoe-ner, Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum, München
  • Regierungsbaudirektor Fritz Schultz, Leiter des Flughafenneubauamtes, Bayer. Staatsministerium der Finanzen, Finanzbauverwaltung, München
  • Regierungsbaudirektor Dr. Heinrich Sprenger, Bundes­verkehrsministerium, Bonn
  • Dipl.-Ing. Manfred Steffen, Leiter der Planungsabteilung der Flughafen GmbH, München
  • Thomas M. Sullivan, Dallas-Fort Worth Regional Airport Board, Texas
  • Oberregierungsbaurat Dipl.-Ing. Werner Toepel, Bayer. Staats­ministerium für Wirtschaft und Verkehr, München
  • Prof. Dr.-Ing. Werner Treibel, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen, Stuttgart
  • John P. Veerling, Port of New York Authority, New York.
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